Warum ein Baumfarn aus dem Perm "Madenfarn"
genannt wurde, ist anhand der
folgenden zwei Bilder leicht zu erraten, aufgenommen an beiden
Schnittflächen eines Hornstein-Gerölls,
das 1997 an der Typuslokalität dieses Farns gefunden wurde. Wenige
Funde von vor 1800 hatten damals die Fantasie angeregt und zu Deutungen
als Tiere Anlass gegeben, bis das Fossil 1802 als pflanzlich erkannt
und 1837 als Scolecopteris elegans
beschrieben wurde [1]. ("Scolecopteris"
ist die direkte Übersetzung von "Madenfarn".)
Dieses Fossil hatte zur Entwicklung der Paläobotanik als Wissenschaft
beigetragen, weshalb es wert ist, hier genauer betrachtet zu werden.
Später wurde klar, dass es das Laub des Baumfarns ist, dessen
verkieselte Stämme als Psaronius
bekannt sind.
Abb.1,2: Fiederblättchen des Madenfarns (Scolecopteris)
in unterschiedlichen Erhaltungszuständen, mehr oder weniger verformt
und an Insektenlarven erinnernd, auf den Schnittflächen eines
Hornstein-Fundstücks; Bilder 7mm und
8.5mm breit, gleiche Vergrößerung.
Anscheinend waren manche Sporenkapseln in Abb.1 nicht ausgereift, als
die Fiederblättchen
abfielen, zusammengeschwemmt und verformt wurden und im
Wasser verkieselten.
Man beachte die rot und gelb gefärbten Sporen in den Kapseln in Abb.2.
Anlass für einen Disput bietet ein anderes Fundstück von gleicher
Fundstelle mit
deutlich sichtbaren Blättchen an der Oberfläche (Abb.3,4).
Pflanzenteile sind an Oberflächen gut zu sehen, wenn sie als harter
Hornstein vorliegen,
nachdem die aufliegende Schicht durch Erosion oder Trennbruch
verschwunden war.
Abb.3 (links): Madenfarn-Fieder
an der rohen Oberfläche eines Hornsteins;
Blättchen anscheinend nicht verformt, Seitenadern mit ca. 60°
abzweigend.
Gleiche Fieder wie in [2], Abb.8, und
[3], Abb.210A.
Bildbreite 11mm. Fundstück Bu8/18, Sammlung Wagner.
Abb.4 (links außen): Blättchen aus Abb.3, obere
Reihe; Zellstruktur der Epidermis an den Adern orientiert.
Bildbreite 3.5mm.
Nebenbei sei erwähnt, dass die Blättchen in
der Tiefe sich seitlich
berühren, was hier nicht
sichtbar ist, weil der Zwischenraum mit weißlichem Chalzedon gefüllt
ist. Anscheinend war dieser übrig geblieben, als ein Riss
längs
der Kutikula auf der Epidermis lief, dabei von
einem
Blättchen zum nächsten sprang und so die weißliche Schicht abtrennte
und die Fieder so frei legte, wie wir sie hier sehen. Die wachsartige
Kutikula bot einen
leichten Rissweg.
Dieser Farn war in [2,3]
als Scolecopteris elegans
gedeutet worden, was aber nicht zu den
kürzlich entdeckten
großen Synangienstielen im gleichen Fundstück passt (Abb.5-7). Man
vergleiche mit der Zeichnung zum Lektotyp von Sc. elegans
in [4],
Tafel 1, mit sehr kurzen Stielen (Abb.8).
Diese
Fehldeutung infolge schlechter Beobachtung hat eine kuriose Tradition,
beginnend 1980 [7] mit einem Fundstück von Etzold
(ca. 1890), fortgesetzt 1995
mit dem gleichen Fund in [4]. Eine
nach [4], Tafel 5,
angefertigte Zeichnung (Abb.9) verdeutlicht
den Gegensatz zu Sc. elegans
in Abb.8. Die Fehldeutung setzt
sich fortin
[2] (2002) und [3]
(2015) mit einem
Fund von Wagner
(1997). Offenbar hat
M.
Barthel die
Synangien mit großen Stielen (Abb.5-7) auf den
Schnittflächen nicht gesehen, was zur
Fehldeutung der Fiederteile (Abb.3,4) als Sc. elegans
beitrug.
Abb.5-7: Synangien mit großen Stielen auf Schnittflächen des
gleichen Fundstücks Bu8/18 wie Abb.3,4. Bildgrößen 1.5mm.
Der Synangienstiel ist oft nicht gut oder gar nicht zu sehen, denn
die Achse des Synangiums liegt meist nicht in der zufällig gewählten
Schnittebene.
Mehr Synangien mit großen Stielen
sind von wenigen eigenen Funden von dieser Fundstelle bekannt.
Abb.8 (unten links):
Querschnitt eines Blättchens, gezeichnet nach dem Lektotyp
von Scolecopteris
elegans in [4], 2mm breit.
Abb.9 (unten rechts): Querschnitte
von Blättchen mit großen Synangienstielen, nach [4],
Tafel 5, coll. Etzold
ca. 1890.
Ungeachtet der
offensichtlichen Unterschiede und Hinweise auf andere Arten gab es nach
M.
Barthel
[2], S.75, an der Typuslokalität von Sc. elegans
"höchstwahrscheinlich" nur eine einzige Art Madenfarn. In
[3] hält er an der Deutung fest,
der Inhalt des hier betrachteten
Fundstücks Bu8/18 könne
"bedenkenlos zu Scolecopteris elegans gerechnet
werden".
Die Synangien in Abb.5-7 sind
jenen in Abb.9 ähnlich und
vom Lektotyp in
Abb.8 sehr verschieden. Folglich repräsentieren sie
eine andere Art.
Wenn es eine der zahlreichen bekannten Scolecopteris-Arten
wäre, sollte sie in einer der vier von Millay [5]
vorgeschlagenen Gruppen
zu finden sein. Die zur Spitze hin verdickte Sporangienwand könnte
für eine Zuordnung zur "Minor-Gruppe" sprechen, wenn nicht der große
Synangienstiel wäre, geformt als "breite Kappe aus Parenchym, die die
Sporangien miteinander und mit dem Blättchen verbindet" [5,6].
Das bezieht sich dort auf den Synangienstiel von
Sturiella,
beschreibt aber erstaunlich gut, was man hier in
Abb.5-7 sieht.
Weil M.
Barthel
die Synangien mit den dicken Stielen auf den Schnittflächen nicht
gesehen hat, ist für ihn alles Sc. elegans,
und er liefert eine ausführliche Beschreibung, angeblich von Sc. elegans,
auf der Grundlage dreier Fundstücke, darunter
Bu8/18, das wahrscheinlich nur Sturiella enthält.
Eine solche Beschreibung, die wahrscheinlich auf
einem Irrtum beruht, ist wahrscheinlich wertlos.
Die Synangien in Abb.5-7 belegen, dass Figs.6-8
in [2] und Figs.210A-G in [3] nicht "bedenkenlos zu Scolecopteris elegans
gerechnet werden können", sondern
eher zu
Sturiella
intermedia.
Diese Deutung würde auch die eigenen Funde von Blättchen mit großen
Synangienstielen oder behaarten
Sporangien an dieser Fundstelle verständlich machen.
Mit der neuen Deutung muss man nicht den beliebten Namen
"Madenfarn" vermeiden, denn Sturiella
intermedia
(Millay
1997) ist auch bekannt als Scolecopteris
intermedia
(Lesnikowska,
Galtier 1991).
Es sei hier erwähnt, dass [2]
und [3]
ungenaue oder falsche Größenangaben und andere irritierende Fehler
enthalten. Beispiel: Die Größe der Sporen von Sc. elegans
ist angeblich 40µm auf S.228, 70µm in Abb.209, aber 27µm in
Wirklichkeit.
Siehe Google: Fehler Palaeobotanik.
Es gibt widersprüchliche Größenangaben zu Sturiella in [5,6],
die hier nicht wesentlich sind.
Fundstücke: 1997 gefunden von Ulrich
Wagner (Dresden) an der Typuslokalität von Sc.
elegans, aufbewahrt mit den Bezeichnungen Bu8/23
(hier Abb.1,2) und Bu8/18
(hier Abb.3-7), zwecks erneuter Auswertung 2019 leihweise zur Verfügung
gestellt.
H.-J.
Weiss
2019
(geänderte Version)
[1] E.
Zenker:
Scolecopteris elegans,
ein neues fossiles Farrngewächs mit
Fructification. Linnaea 11(1837), 509-12.
[2] M.
Barthel:
The maggot stones from Windberg ridge.
in: U. Dernbach,
W.D. Tidwell: Secrets of
Petrified Plants, D'ORO Publ., 2002. p. 65-77.
[3] M.
Barthel: Die Rotliegend-Flora
der Döhlen-Formation. Geologica Saxonica 61(2) (2015), 108-229.
[4] M. Barthel,
W. Reichel, H.-J. Weiss: "Madensteine" in Sachsen.
Abhandl. Staatl. Mus. Mineral. Geol. Dresden 41(1995),
117-135, Table 1.
[5] M.A. Millay:
A review of
permineralized Euramerican Carboniferous tree ferns. Rev. Pal. Pal.
95(1997), 191-209.
[6] A. Lesnikowska,
J.
Galtier: A reconsideration of four genera of
permineralized Marattiales ... Rev.
Pal. Pal. 67(1991), 141-152. [7] M.
Barthel: Pecopteris-Arten
... aus Typuslokalitäten in der DDR. Schriftenr. geol. Wiss. Berlin
16(1980), 275-304.