Es ist ein charakteristisches Merkmal der fossilen und heutigen Farne
aus der Familie der Marattiaceen, dass die Sporangien zu Gruppen
verwachsen sind, Synangien
genannt. Diese sind am Fiederblättchen
mittels eines Stiels befestigt, der so kurz sein kann, dass er
kaum sichtbar ist.
Nach der Betrachtung vieler verkieselter Exemplare von Scolecopteris,
der am besten bekannten fossilen Marattiacee, wundert man sich über die
langen Synangienstiele von Scolecopteris
elegans
bei Zenker
[1], der diese Art 1837 erstmals beschrieben hatte (Abb.1).
Gegenstand seiner Beobachtungen waren
die "Madensteine" des Döhlener Beckens (Unter-Devon), daher der Name Scolecopteris,
wörtlich Madenfarn.
Abb.1:
"Zenker's
Tulpenbeet": Zeichnung eines Fiederblättchens
mit angeblich lang gestielten Synangien [1].
Die Stiele werden hier als Artefakte erklärt.
Eigene Funde (Abb.2) lassen erkennen, dass die auffälligen Stiele in
Abb.1 keine wirklichen sind. Zenker
hielt sie offenbar für wirklich, denn in allen
seinen Zeichnungen haben die Synangien lange Stiele.
Abb.2: Illusion dünner Stiele der Synangien, erzeugt durch
teilweise Zersetzung der Sporangien, deren aufeinanderfolgende Stadien
in diesem Fundstück aus dem Döhlener Becken erhalten geblieben sind.
Seltene Variante von Scolecopteris
mit ungewöhnlich kleinen Sporangien. Bildbreite
2.2mm.
Offensichtlich verläuft das schmale Leitbündel des breiten und sehr
kurzen Stiels bis zwischen die Sporangien, dann zerfasert es und
verschwindet anscheinend in der Innenschicht der Sporangienwände. Es
ist widerstandsfähiger gegen Zerfall als Teile des Synangiums, und es
erscheint deshalb als dünner Stiel [9].
Die Illusion langer Stiele entsteht auch durch teilweisen Zerfall des
Gewebes der Fiederblättchen, wie in [2], Fig.11.90, wo auch die wahre
Größe der Stiele auf anderen Blättchen dieses Fundstücks aus dem
Döhlener Becken, der Typuslokalität des Madenfarns, Scolecopteris
deutlich zu sehen ist. Nach dem kleinen Anteil der Synangien zu
urteilen, die zufällig so in Hälften geschnitten wurden, dass der Stiel
deutlich sichtbar ist, haben die meisten neueren Madenfarn-Funde
aus dem Döhlener Becken sehr kurze breite Stiele (Abb.3) wie bei Strasburger
(1874) [3] abgebildet (Abb.4).
Blättchen mit diesem Aussehen wurden Sc. elegans
zugeschrieben [3,4]. Größe und Aderung
der
Blättchen eigener Funde führen jedoch zu der Annahme, dass Blättchen
wie in Abb.3,4 nicht nur Sc.
elegans repräsentieren, sondern mindestens
eine weitere Art.
Abb.3-5: Querschnitte von Scolecopteris-Blättchen
mit kurzen breiten Synangien-Stielen. Abb.3: einer der vielen neuen
Funde.
Abb.4: Zeichnung in [3], anscheinend
idealisiert.
Abb.5: gezeichnet nach dem
Lectotypus in [4], ca. 2mm breit.
Da nun die dünnen Stiele als unecht erkannt sind, als Ergebnis des
Zerfalls von umgebendem Gewebe, sind die Fiederblättchen mit
wirklichen deutlichen Synangienstielen (Abb.6-8) von der Typuslokalität
des Madenfarns
problematisch: Sie sind so
verschieden von denen des Typusexemplars (Abb.5), dass sie
zweifellos
eine andere Art repräsentieren.
Abb.6-8: Blättchen mit auffälligen Synangienstielen, neue Funde von
der Typuslokalität des Madenfarns,
aber auffällig unähnlich denen des Lectotypus
(Abb.5). Abb.6,7: neuere Funde. Abb.6: Längsschnitt.
Abb.7: Blättchen 1.7mm breit. Abb.8: vorgestellt als Sc.
elegans in [4], Tafel 5, und in [5], Tafel VII; Blättchen
1.9mm breit.
Abb.7 leitet über zu einem merkwürdigen Widerspruch: In
der gleichen Publikation [4], wo ein Fundstück
mit Blättchen wie in Abb.5 zum Lectotypus von Sc. elegans
ernannt wird,
werden Blättchen von ähnlich seltsamer Gestalt wie in Abb.6,7 als Sc.
elegans angeboten (Abb.8). Der Widerspruch wird noch dadurch
verstärkt, dass der
Winkel der Aderung auf den Blättchen in Abb.8 bei 45° ist, wie zu sehen
in [4], Tafel 5, und deutlicher in [5], Tafel VII, aber der Winkel von Sc.
elegans wird in [4] mit 60°
angegeben.
Ungeachtet der offensichtlichen Unterschiede hat einer der
Autoren [4], M.B., darauf bestanden, die Feststellung in den Text
aufzunehmen, es bestehe "völlige Übereinstimmung aller Merkmale"
zwischen den Exemplaren in Abb.3-5 und in Abb.8. Die ähnliche
Feststellung, es gebe "sehr wahrscheinlich nur eine einzige
Scolecopteris-Art
im Döhlener Becken", ist in eine Monografie gelangt
[7].
Somit hat es sich ergeben, dass die Betrachtung der Synangienstiele
manche Probleme betreffend Scolecopteris
elegans
von der Typuslokalität geklärt, aber neue hervorgebracht hat, und
Schlussfolgerungen ermöglicht, die manchen in der wissenschaftlichen
Literatur wiederholt verbreiteten Ansichten widersprechen:
(1) Sehr kurze Synangienstiele (<
0.1mm) wie in Abb.3-5 sind die bei weitem häufigsten.
(2) Gewebezerfall legt Leitbündel frei und täuscht damit
Stiele vor, was zur wiederholten
Fehldeutung als schlanke Synangienstiele geführt hat.
(3) Anhand anderer Merkmale kann man schließen, dass
Synangien mit sehr kurzen Stielen nicht nur eine Art repräsentieren.
(4) Es gibt Farnlaub mit langen kräftigen Synangienstielen, die sich
anscheinend in keiner Weise von den üblichen kurzen Stielen ableiten
lassen und folglich als Beleg für eine andere Art zu betrachten sind.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass Befunde zu
Synangien
und anderen Merkmalen der Wedel für die
Anwesenheit von möglicherweise drei weiteren Madenfarn-Arten an
der Typuslokalität von Sc.
elegans sprechen.
Das ist nicht unerwartet, denn schon
1996 waren 26 europäisch-amerikanische Scolecopteris-Arten
bekannt [8], und voraussichtlich kommen mehr hinzu.
Wiederholte Versuche, die Vielfalt der Formen des Madenfarns im
Döhlener Becken als Variabilität einer
einzigen Art zu deuten, erweisen sich als vergeblich, wenn man die
fossilen Belege sorgfältig betrachtet. Anmerkung 2019:
Echte lange Stiele ähnlich denen in Abb.6-8, ebenfalls deutlich
sichtbar in einem Fundstück von der klassischen Madenstein-Fundstelle,
waren nicht beachtet worden, was 2015 zu einer weiteren Fehldeutung
führte [10].
Funde: Abb.2,3,6,7: eigene Funde.
Abb.3: Zeichnung zu
H2/35.1; Fotos zu diesem Stück gibt es in [6], Abb.7,10, dort
fälschlich als Pecopteris bezeichnet und mit falschen Größenangaben:
richtig 45x and 10x, nicht 50x und 22x.
H.-J.
Weiss 2011, 2019
[1] E.
Zenker:
Scolecopteris elegans,
ein neues fossiles Farrngewächs mit
Fructification. Linnaea 11(1837), 509-12.
[2] T.N.
Taylor, E.L. Taylor, M. Krings: Paleobotany,
Elsevier 2009.
[3] E. Strasburger:
Über Scolecopteris
elegans ..., Jenaische Z. Nat. N.F.1 Jena 8(1874), 81-95.
[4] M. Barthel,
W. Reichel, H.-J. Weiss: "Madensteine" in Sachsen.
Abhandl. Staatl. Mus. Mineral. Geol. Dresden 41(1995),
117-135, Tafel 1.
[5]
M. Barthel:
Pecopteris-Arten E.F. v. Schlotheims aus Typuslokalitäten
in der DDR, Schriftenreihe geol. Wiss. Berlin 16(1980), 275-304.
[6] M. Barthel,
H.-J.
Weiss: Xeromorphe Baumfarne im Rotliegend Sachsens.
Veröff. Museum f. Naturkunde Chemnitz 20(1997), 45-56.
[7] M. Barthel:
Die
Madensteine vom Windberg. in:
U. Dernbach, W.D.
Tidwell: Geheimnisse versteinerter Pflanzen. D'ORO 2002.
p65-77.
[8] M.A. Millay:
A review of permineralized Euramerican Carboniferous tree
ferns. Rev. Palaeobot. Palyn. 95(1997), 191-209.
[9] H.-J.
Weiss:
Fehlgedeutete Strukturen in Hornsteinen -
alte und neue
Beispiele. 5. Hornsteintreffen, Museum f. Naturkunde Chemnitz 2006.
[10] M.
Barthel: Die Rotliegend-Flora
der Döhlen-Formation. Geologica Saxonica 61(2), (2015), 108-229.