Für die Deutung des großen rätselhaften Fossils Prototaxites wurde
eine
sehr seltsame Hypothese vorgestellt [1]. Dieses Fossil wurde in der
Monographie "Palaeobotany" [2] in das Kapitel "Rätselhafte Organismen"
aufgenommen, weil es wie ein Baumstamm aussieht, aber nicht aus Holz
besteht, und weil es im Silur und Unter-Devon lebte, als Landpflanzen
höchstens wenige
Zentimeter groß waren.
Für die Vorstellung eines großen stamm-artigen
Fossils, entstanden aus kümmerlicher Vegetation, bemühen die Autoren
[1] die Idee zusammengerollter Matten. Lebermoos-Teppiche auf geneigten
Felsplatten sollen sich am oberen Ende ablösen und krümmen
und gelegentlich den Abhang hinunter rollen, wie in Abb.1 kunstvoll
dargestellt. Abgesehen von der Frage, wie all diese Teppichrollen so
dicht gewickelt wurden, dass deren Querschnitte nahezu kreisförmig
blieben, während sie umher lagen bevor sie verkieselten, kann man die
Hypothese beginnend von der Lebermoos-Seite des Problems anzweifeln.
Kleine Nematophyten,
kürzlich im Hornstein von Rhynie gefunden, geben überraschende
Einsichten.
Fossile Lebermoose sind seit dem Oberen
Mittel-Devon bekannt [2]. Um Lebermoose im Silur zu haben, deuteten die
Autoren [1] die als Nematothallus
and Cosmochlaina
(Fig.2) bekannten
silurischen Kutikulen, die gewöhnlich den Nematophyten
zugeordnet
werden, in einer vorherigen Arbeit [3] als Lebermoos-Kutikulen.
Neue Funde von Nematophyten im Hornstein von Rhynie liefern Belege
gegen diese Deutung [4]. Eine Kurzfassung der Darstellung [4],
konzentriert auf die Erklärung der bisher unverstandenen Struktur
der Nematothallus-Kutikula,
ist in
Rhynie
Chert News 38
gegeben.
Es
bleibt nun noch die auffällige Struktur von Cosmochlaina ohne
Bezug
auf Lebermoose zu deuten. (Nach [1] zeigen die Pfeile in Abb.2
auf "Poren umgeben von Zell-Rosetten", was sich im folgenden als
Fehldeutung erweist.)
Abb1: Entstehung von Prototaxites
aus
Lebermoos-Rollen nach der Vorstellung von Graham
et al. (2010)
[1].
Abb.2 mit Ausschnitt: Cosmochlaina-Kutikula,
Silur, in [1] umgedeutet als Epidermis
mit abgebrochenen Rhizoiden an der Unterseite eines Lebermooses; hier
anders gedeutet.
Die bei unkritischer Betrachtung auffällige Ähnlichkeit mit
der
Unterseite von Lebermoosen mit abgebrochenen Rhizoiden verleiteten Graham
et al. [3] zu der Annahme, es sei
wirklich ein Beleg für Lebermoose. Die polygonalen Maschen, in [5]
vorsichtig "entities" genannt und in [3] leichtfertig als Zellen
betrachtet, hätten Verdacht erregen müssen. Rhizoide wachsen einzeln
aus einer Zelle, deshalb wäre ein Rhizoid, das aus 7 Zellen heraus
kommt (siehe Ausschnitt), ein Unding. Bei genauer Betrachtung von Abb.2
findet man mehr Einzelheiten, die kaum mit der Deutung als Zellschicht
verträglich sind. Hier ist es nützlich zu wissen, dass das,
was wie eine Zellstruktur aussieht, ein Rissnetzwerk sein kann: ein
Gedanke, der scheinbare Absurditäten beseitigen und neue
Durchblicke öffnen kann. (Ein anderer solcher Fall:
Rhynie
Chert News 8.)
Gemäß der hier gegebenen Deutung ist
Cosmochlaina
die Kutikula eines Nematophyten, wie ursprünglich
angenommen. Die runden Löcher sind die Querschnitte oder Enden der in
Gel
eingelagerten röhren-artigen Fäden, aus denen der Nematophyt besteht.
Das alte Problem, wie ein Nematophyt eine Zellschicht bilden kann, hat
sich damit in Nichts aufgelöst: Hier gibt es keine Zellen, sondern nur
Risse. Es könnten Schrumpfrisse an der trocknenden Oberfläche des
Gelklumpens sein. Die Nematophyt-Röhren könnten eine organische
Substanz freigesetzt haben, die sich an der Oberfläche ansammelte, zu
einer inerten Schutzschicht gegen Austrocknen polymerisierte und dabei
ein Abbild der Rissanordnung speicherte.
Unterstützung für diese Sicht der Dinge findet man unerwartet in
einer frühen Arbeit zu Cosmochlaina
[5] mit Exemplaren, die einen ganz
anderen Anblick bieten als die oft reproduzierte Struktur in Abb.2:
Siehe
Abb.3.
Abb.3: Cosmochlaina-Kutikula
wie man sie selten sieht [5]: kein
polygonales Netzwerk, sondern früher Zustand der Rissbildung.
Auffällig ist hier das
Fehlen der Netzstruktur,
die zu Unrecht für ein typisches Merkmal von Cosmochlaina
gehalten wird. Offenbar zeigt die
Kutikula in Abb.3 ein sehr frühes Stadium der Entstehung des Rissnetzes
mit nur wenigen kurzen Rissen, ausgehend von den runden Querschnitten.
Der Übergang von einzelnen Rissen zu polygonalen Strukturen wird in der
Bruchmechanik noch nicht ganz verstanden, aber das Phänomen ist
wohlbekannt von verschiedensten Substanzen, die einer Schrumpfung
unterliegen. Ergänzung 2020:
Eine Tendenz wachsender Schrumpfrisse, Polygonmuster zu bilden, wurde
mittels bruchmechanischer Rechnungen begründet [7].
Da nun keine Argumente dafür übrig geblieben sind, dass
silurische
Lebermoose getarnt als Cosmochlaina
und Nematothallus
existierten,
fehlt der Lebermoos-Hypothese für Prototaxites
der Hauptbestandteil.
Ohne eine andere Vegetation zur Bildung von Teppichrollen in Sicht,
bleibt
Prototaxites
so rätselhaft wie zuvor. (Siehe auch [6].)
H.-J. Weiss
2010 2020
[1] L.E. Graham,
M.E. Cook, D.T. Hanson, K.B. Pigg, J.M. Graham :
Structural, physiological, and
stable carbon isotope
evidence that the enigmatic Paleozoic fossil Prototaxites formed
from
rolled liverwort mats.
Am. J. Bot.
97(2010), 268-275.
[2] T.N. Taylor,
E.L. Taylor, M. Krings : Paleobotany, Elsevier 2009,
p163.
[3] L.E. Graham,
L.W. Wilcox, M.E. Cook, P.G. Gensel
:
Resistant tissues of
modern marchantoid liverworts resemble enigmatic Early Paleozoic
microfossils.
Proc. Nat. Acad.
Sci., USA, 101(2004), 11025-29.
[4] H.-J. Weiss:
Nematothallus: How the filaments produced a cellular
cuticle. (Oral presentation)
8th European
Palaeobotany - Palynology Conference 2010, Budapest.
[5] D. Edwards :
Dispersed cuticles of putative non-vascular plants from
the Lower Devonian of Britain,
Bot. J. Linnean Soc.
93(1986), 259-75.
[6] H. Steur:www.xs4all.nl/~steurh/
[7] M.
Hofmann, R. Andersson,
H.-A. Bahr, H.-J. Weiss, J. Nellesen: Why
Hexagonal Basalt Columns?
Phys.
Rev. Lett. 115, 154301 (2015).