Nematophyten,
wörtlich "Fadenpflanzen", sind noch so wenig
verstanden, dass sie kürzlich vorsichtig unter der Überschrift
"Rätselhafte Organismen" eingeordnet wurden [1]. Das regt dazu an, nach
möglichen Erklärungen zu suchen [2].
Abb.1: Nematophyt im Hornstein von Rhynie mit nahezu parallelen
Schläuchen im Querschnitt und zwei dunklen Klumpen unklarer Struktur; unbeschriebene Art.
Bildbreite 1.26mm.
(Anmerkung 2020: Offensichtlich gibt es hier in den Klumpen kein Gewirr
von Schäuchen, vielleicht mit Ausnahme sehr kleiner Schläuche, die hier
nicht zu sehen sind.)
Kürzlich wurde mit großem Aufwand versucht nachzuweisen, dass
einige oder die meisten Nematophyten urtümliche Lebermoose
sind [3]. Diese Idee geht von zwei Annahmen aus:
- Die Schläuche sind Lebermoos-Rhizoide
- Die Kutikulen mit scheinbarer Zellstruktur,
bekannt als
Nematothallus [4,5] und
Cosmochlaina,
oft zusammen mit kohligen
Ansammlungen von Filamenten gefunden, sind Abformungen
der Epidermis von Lebermoosen.
Die Idee breitete sich schnell unter Paläobotanikern aus und wurde
mehr oder weniger akzeptiert. Das geschah ohne kritisches Hinterfragen,
was man aus Formulierungen wie der folgenden entnehmen kann: "Nach
einer interessanten Hypothese könnten einige der rätselhaften
kambrischen bis devonischen Fossilien, die traditionell zu den
Nematophyten gestellt wurden, die Reste urtümlicher Lebermoose
repräsentieren ..." [1]. Anscheinend wurde diese Hypothese niemals
ernsthaft bezweifelt, außer im vorliegenden Beitrag auf der Grundlage
sehr weniger Exemplare von Nematophyten, kürzlich gefunden im Rhynie
Chert [6].
Die
dunklen Klumpen inmitten der Röhren oder Schläuche in Abb.1 sind ein
typisches Merkmal einiger Nematophyten. Sie schließen eine Deutung der
Röhren als Rhizoide aus.
Abb.2: Gleiches Fundstück wie Abb.1, mit zellen-artiger Struktur, hier
gedeutet als Grenzen der Gel-Hüllen der Röhren. Siehe auch Rhynie
Chert News 30
Das Problem, die Bildung der Kutikulen mit Zell-Aspekt durch die
Nematophyten zu erklären, kann in zwei Teilprobleme zerlegt werden:
Entstehung der zellenartigen Struktur und Bildung der Kutikula.
Abb.2 bietet eine mögliche Erklärung für die Entstehung der Struktur:
Jede der
Röhren umgibt sich mit einer Hülle aus Gel. Zusammen bilden die Hüllen
einen Gelklumpen, wobei deren Grenzen noch vorhanden und günstigenfalls
als zellenartige Struktur sichtbar sind.
Es
bleibt zu erklären, wie diese Stuktur auf eine Kutikula gelangt. Das
wird mit Abb.3 versucht. Hier wird angenommen, dass die
Grenzen
zwischen den Gel-Hüllen, in Abb.2 auf polierter Schnittfläche
gezeigt, ein Netz von Furchen an der Oberfläche des Gelklumpens bilden,
möglicherweise vertieft durch Trocknen.
Abb.3: Schematische Darstellung der möglichen Bildung einer Kutikula
mit zellen-artiger Struktur (Nematothallus-Aspekt)
an der Gel-Oberfläche eines Nematophyten. (Es ist nicht bekannt, wie
das Ende der
Röhren geformt ist. Zwecks 3D-Illusion wurde es hier offen dargestellt.)
Wahrscheinlich produzieren die Röhren eine
Kutikula-Precursor-Substanz und entlassen diese in das Gel, wo sie zur
Oberfläche diffundiert, sich dort ansammelt und ausbreitet, die Furchen
füllt und zu einer schützenden Haut mit Nematothallus-Aspekt
polymerisert, die ebenso widerstandsfähig gegen
Zersetzung ist wie die Kutikulen der Landpflanzen.
Das ist ein Lösungsvorschlag für das alte Nematothallus-Problem
ohne Bezug auf Lebermoose, begründet hauptsächlich auf dem
Vorhandensein von Gel als Bestandteil der Nematophyten, das sich
im Rhynie Chert zeigt, aber nicht bei den zusammengedrückten
Exemplaren von anderen Fundstellen. Eine ähnliche Lösung
bietet sich für dasCosmochlaina-Problem
an.
Abb.4: Entstehung von
Prototaxites
aus zusammengerollten Lebermoos-Teppichen nach Vorstellungen von Graham
et al. (2010) [7].
Die schwindenden Argumente für die Deutung der Nematophyten als
Lebermoose betreffen auch die neueste fantasievolle Deutung der
rätselhaften riesigen Prototaxites-Stämme
als zusammengerollte und anschließend
verkieselte Lebermoos-Teppiche wie in
Abb.4 veranschaulicht.
Die einzigartige Erhaltung der Nematophyten im Rhynie Chert,
nicht zusammengedrückt und mit Andeutung von Gel zwischen den
Filamenten, ermöglicht die folgenden Aussagen [6]:
- Für die Idee einer Verwandtschaft der
Nematophyten mit Lebermoosen, aufgekommen 2004 und seitdem weit
verbreitet,
gibt es keine guten Gründe.
- Den neuesten Ausbau der Lebermoos-Idee
2010, die Einführung von Lebermoos-Rollen zwecks Deutung von Prototaxites,
könnte man als einfallsreich in Erinnerung
behalten, kann man aber besser vergessen.
H.-J. Weiss
2010 2020
[1] T.N.
Taylor, E.L. Taylor, M. Krings:
Paleobotany,
Elsevier 2009,
p163.
[2] H.-J.
Weiss : "Enigmatic Organisms" – Insights derived
from new
finds. (Poster)
8th European
Palaeobotany - Palynology Conference 2010, Budapest.
[3] L.A.
Graham, L.W. Wilcox, M.E. Cook, P.G.Gensel :
Resistant tissues of
modern marchantoid liverworts resemble enigmatic Early Paleozoic
microfossils.
Proc. Nat. Acad.
Sci., USA, 101(2004), 11025-29.
[4] P.K.
Strother : Clarification of the genus
Nematothallus.
J. Paleont. 67 (1993), 1090-94.
[5] H.
Steur, W. v.d.Brugghen : Nematothallus – een
raadselachtige plant
uit het Siluur en het
Vroeg-Devoon. Grondboor & Hamer (1998) Nr.2, 28-35.
[6] H.-J.
Weiss : Nematothallus:
How the filaments produced a cellular cuticle. (Oral presentation)
8th European
Palaeobotany - Palynology Conference 2010, Budapest.
[7] L.E.
Graham, M.E. Cook, D.R. Hanson, K.B. Pigg, J.M. Graham:
Structural, physiological, and stable
carbon isotope evidence that
the
enigmatic Paleozoic fossil Prototaxites
formed from rolled liverwort
mats.
Am. J. Bot. 97(2010), 268-275.
Acknowledgement: Thanks are due to Christopher Taylor ,
Curtin
University, Perth,
for drawing attention to the above painting and related discussions by
means of his blog, which instigated the presentation [6].