Eine devonische Pflanze rätselhafter Zuordnung
English version

Fossilfunde, die anscheinend nicht zu bekannten Arten passen, sind nicht ungewöhnlich und bringen die Paläontologen zum Grübeln. Meist findet
man schließlich doch eine Zuordnung, andernfalls können sie etwas Neues belegen. Sehr verwunderlich sind die Nematophyten: Sie haben Namen bekommen, aber keinen Zweig auf dem Stammbaum des Lebens. Der unter-devonische Hornstein von Rhynie (Rhynie Chert) hat einige geliefert, auch neue Arten. Vom Rhynie-Hornstein kann man weitere Überraschungen erwarten, und hier ist eine neue, die zu deuten ist.
unknown plant section, Rhynie
Abb.1 (rechts): Unbekanntes Fossil im Rhynie Chert mit körnigem Aussehen, Bildbreite 9.5mm.

Abb.2 (unten): Ausschnitt aus Abb.1, Bildbreite 1.6mm.
unknown plant section, Rhynie unknown plant section, Rhynie





Abb.3 (links): Kantige Körner unbekannter
Entstehung. Ausschnitt aus Abb.1, Bildbreite 0.83mm.

Der hier gezeigt Pflanzenteil sieht aus wie ein Beutel voller Körner (Abb.1,2). Deren teils geradlinige Konturen könnten Abformungen ebener Zellwände oder Kristallflächen sein. Anscheinend hat die Verkieselung neben kompakten Körnern
locker zusammenhängendes Quarzpulver erzeugt, was den guten optischen Kontrast gibt.  
Die Körner lassen eine Tendenz erkennen, sich als Ketten anzuordnen, wie in Abb.3 rechts oben, was auf einen Prozess hindeutet, der sich von Zelle zu Zelle ausbreitet und die Verkieselung beeinflusst. Derartige Prozesse, vielleicht von einem Fäulnispilz gesteuert, haben in anderen fossile Pflanzen zellengroße Klumpen oder kantige Körner hinterlassen, die vielfach als Milbenkot fehlgedeutet wurden. Hier ist die Korngröße ca. 20...35µm und damit kleiner als die Zellengrößen der 7 Landpflanzen, die bisher im Rhynie Chert entdeckt wurden, und auch kleiner als die "Koprolithen" im Kieselholz. 
Das dunkle Aussehen kommt durch zwei Effekte zustande: Die durchsichtigen Körner lassen das Licht in die Tiefe und sehen deshalb viel dunkler aus als der reflektierende feinkörnige Quarz, und einige haben schwarze Einschlüsse zersetzter organischer Substanz. Am Rand liegen die dunklen Körner so gedrängt, dass man nicht erkennen kann, ob die Pflanze eine Epidermis hatte.
cuticle (?) of unknown plant section, Rhynie
Es gibt hier einen kleinen Fleck zersetzten und verschwundenen Gewebes, wo die Oberfläche durch eine dünne dunkle Linie schwach angedeutet ist (Abb.4). Eine solche Linie sieht man auch an einigen Stellen der anderen Hälfte des durchgeschnittenen Exemplars. Die dünnen Linien längs kleiner Strecken der Kontur sind vielleicht die Reste der Kutikula auf einer Epidermis.   detail of unknown plant section, Rhynie


Abb.4 (links): Kutikula (?), sichtbar als dunkle Linie über einem Hohlraum am Rand (in Abb.1 links unten).

Abb.5 (rechts): Deformiertes Ende des Gebildes in Abb.1 rechts, oder Ende eines Stiels mit Fuß ? Bildbreite 0.7mm.

Ein Merkmal in Abb.1 ist entweder eine signifikante Struktur oder nur ein Ergebnis von teilweiser Zersetzung und Kompression: Der dicke Schlauch verschmälert sich plötzlich nach rechts zu einem undeutlich sichtbaren Anhang, schlecht verkieselt und von Rissen durchsetzt, wie ein Stiel mit einem (dreigeteilten ?) Fuß am Ende (Abb.5).
Da das Gebilde in Abb.1 auch auf der anderen Seite der Schnittfuge (ca. 1mm oder mehr) vorhanden ist, und da die Oberflächen des halbierten Gebildes nahezu senkrecht auf den Schnittflächen stehen, ist zu schließen, dass Abb.1 der Längsschnitt dieses Gebildes ist, das ca. 1.5mm dick und mindestens 3mm breit ist. Wenn der schmale Anhang wirklich ein Stiel ist, muss dieser bandförmig sein. Aus der Beobachtung, dass auf keiner Hälfte ein Leitbündel sichtbar ist, folgt nicht, dass keines vorhanden ist, aber es folgt, dass möglicherweise keines vorhanden ist.
Die Abwesenheit von Hyphen und Röhren schließt eine Zuordnung zu Pilzen oder Nematophyten aus. Eine Kutikula ist kein zwingender Hinweis auf eine Landpflanze. Wasserbewohnende Organismen, deren Lebensraum wiederholt trocken fällt, können eine Kutikula ausbilden, wie es von den Nematophyten bekannt ist. In dem Lebensraum, der durch Verkieselung zu Rhynie Chert wurde, gab es wasserbewohnende und landbewohnende Pflanzen, Pilze, und Tiere. Viele zusammengedrückte und wenige gut erhaltene Querschnitte von Rhynia befinden sich im Chert 3cm unterhalb von Abb.1, dazwischen einige Armleuchter-Algen ähnlich Palaeonitella, was auf wechselnden Wasserstand hinweist.
Eine Wasserpflanze wie in Abb.1, mit schlauchförmigem Körper, Stiel und Fuß, ist mit der rezenten Braunalge Laminaria vergleichbar. Der Vergleich schafft ein großes und ein kleines Problem: Dieses Fossil ist mehr als doppelt so alt wie die angeblich ersten Braunalgen [1]. Folglich gab es Algen, die wie Braunalgen aussehen, schon viel länger, und es besteht nun das Problem, wie diese in den Stammbaum der Algen einzuordnen sind.
Das Vorkommen dieses Fossils im süßwasser-dominierten devonischen Lebensraum von Rhynie macht eine Deutung als Vorfahre einer Braunalge nicht unwahrscheinlicher, denn unter den zahlreichen rezenten Braunalgen gibt es neben den vielen Meerestangen auch wenige Süßwasser-Arten [2]. Die hier vorgestellte kleine Alge könnte eine Süßwasser-Braunalge ihrer Zeit gewesen sein, die einzige jemals gefundene.

Obwohl eine abschließende Deutung dieses Fossils denen überlassen werden muss, die irgendwann mehr derartige Exemplare finden oder vieleicht schon jetzt eine gute Idee dazu haben, wurden hier wenige vorläufige Erkenntnisse vorgestellt, die aus den Beobachtungen folgen.

Sample: Rh22/1 (0.21kg),  found by Sieglinde Weiss in 2009.

H.-J. Weiss      2013,   modified in 2021

[1]  Th. Silberfeld 
et al.: A multi-locus time-calibrated phylogeny of the brown algae ... Molecular Phylogenetics and Evolution 56 (2010) 659–674.
[2]  J.D. Wehr: Freshwater Algae of North America, Chapter 19, Brown Algae, 2014, Acad. Press.
50
Übersicht
Rhynie Chert News
deutsch
Rhynie chert
deutsch