Plauderei über Diffusion und Verkieselung
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Es ist unerwartet, dass etwas so Alltägliches wie Diffusion gelegentlich auch von Wissenschaftlern nicht wirklich verstanden wird. Deshalb lohnt es darüber zu plaudern mit der Absicht, wesentliches Verständnis zu vermitteln, ohne dabei Mathematik zu benutzen. 
Um zu erklären, was mit Diffusion gemeint ist, verweisen die Lehrer gern auf das Beispiel einer Tasse voll Tee mit einem Stück Zucker am Boden, wobei auch ohne die geringste Bewegung des Tees das Süße sich langsam ausbreitet. Man kann also sagen, Diffusion bewirke Substanztransport ohne Bewegung im Sinne von Strömung von Flüssigkeit oder Gas. Kurz gesagt:
        "Diffusion = 
Substanztransport ohne Strömung"

Diffusion ist ein hauptsächlicher Transportmechanimus bei der Ablagerung von Mineralen, einschließlich Flint und Hornstein, und ist damit wesentlich für Fossilbildung. Geologen, die mit dem Wesen der Diffusion nicht vertraut waren, hatten es schwer, wenn sie versuchten, jede Mineralablagerung mittels ihrer beliebten Vorstellung "zirkulierender Lösungen" zu erklären. Das Ausfüllen eines Hohlraums mit einer festen Ablagerung würde ein seltsames Regime mit vielfachem Ein- und Ausfließen von Lössungen erfordern. Weil aber "zirkulierende Lösung" ein anschaulicherer Begriff ist als Diffusion, hat dieser bis jetzt in Vorstellungen und Veröffentlichungen überlebt.
Die Umverteilung von Substanzen bei Kristallbildung wird oft als Fließen längs Rissen in heißem Tiefengestein gedeutet, aber Diffusion als wichtigster Transportvorgang wird nicht erwähnt (wie z.B. im
mineral aggregate grown in Permian chert
National Museum of Scotland, Edinburgh).

Abb.1: Ansammlung mineralischer Formen in fossilführendem Hornstein, Unter-Perm, Döhlener Becken, Sachsen.

Was im Bild rechts wie eine bizarre Blume aussieht, ist ein Gebilde aus mineralischen Formen, dessen Entstehung rekonstruiert werden kann:
Kieselhaltiges Sumpfwasser wurde zu Kieselgel, die Zersetzung organischer Substanz lieferte H2S, das sich mit gelösten Eisensalzen zu unlöslichem FeS verband, welches im Gel winzige kubische Pyritkristalle bildete. Die Kristalle wuchsen, als mehr Schwefel- und Eisenionen heran diffundierten.
Als das reduzierende Milieu später oxidierend wurde, zerfiel der Pyrit langsam in Sulfat und Eisenoxide. Die Sulfat-Ionen verbanden sich mit gelöstem Ca zu Gips. Dessen Kristalle, dunkel wahrscheinlich durch eingeschlossene Eisenoxide, wuchsen unmittelbar auf den Flächen des Pyritwürfels in diesem Bild. Dieser wurde dabei durch Chalzedon ersetzt. Das geschah alles ohne Fließen einer Lösung. Der "Blütenstiel", ein alter Riss, könnte zu den Umwandlungen beigetragen haben, denn Risse bieten leichte Diffusionswege.

Während die Strömung von Flüssigkeiten und Gasen an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt eine wohldefinierte Geschwindigkeit hat, ist "Geschwindigkeit" kein nützlicher Begriff für Diffusionsströme. Das wird aus der Tatsache ersichtlich, dass die erforderliche Zeit für die Ausbreitung einer Substanz mittels Diffusion proportional zum Quadrat der Entfernung ist. Durch eine Mikrobe, die 104 mal kleiner ist als ein Teeglas, würde sich jede Substanz 108 mal schneller ausbreiten als durch den Tee. Man kann also sagen, Transport mittels Diffusion sei langsam über größere Entfernungen, aber sehr schnell und effektiv bei sehr kurzen Wegen. Das ist der Grund, warum für die Evolution von Einzellern zu großen Lebewesen die Erfindung von Leitungssystemen für Flüssigkeiten erforderlich war.

Es ist die Bewegung im molekularen Größenbereich, die den Substanztranport durch Diffusion bewirkt. Das lässt sich mit folgendem Gedankenexperiment veranschaulichen (das auch als richtiges Experiment ausgeführt werden kann):
Man stelle sich einen Tisch vor mit vielen kleinen roten und blauen Kugeln darauf und außen mit einem Rand, damit die Kugeln nicht herunter fallen. Die Kugeln seien sortiert, rote auf der einen Hälfte und blaue auf der anderen. Durch kräftiges Schütteln des Tisches geraten die Kugeln in wirre Bewegung, analog zur Wärmebewegung der Moleküle. Dadurch gelangen immer mehr Kugeln in die andere Hälfte des Tisches, bis dann rote und blaue gleichmäßig verteilt sind.
Es ist leicht einzusehen, dass die Vermischung anfangs am schnellsten ist, wenn die Konzentrationsprofile stufenförmig sind, und langsamer wird, wenn die Profile sich glätten. Genauer gesagt, der "Diffusionsstrom" ist proportional zum Konzentrationsgradienten.
Das Experiment lässt sich mit unterschiedlich schweren Kugeln verallgemeinern. Die schwereren Kugeln sind langsamer. Aus der Statistischen Mechanik ist bekannt, dass die mittlere kinetische Energie für alle gleich ist, unabhängig vom Gewicht. Folglich sind die Wassermoleküle mehr als 4mal schneller als die 19mal schwereren Zuckermoleküle, denn die Wurzel aus 19 ist ungefähr 4.3.

Bis hierher mag das für manche Leser zu einfach und langweilig gewesen sein. Da aber manche Wissenschaftler schon an dieser niedrigen Erkenntnisschwelle stolpern, wird die Sache hier noch einmal mit anderen Worten gesagt: Die Zuckermoleküle gelangen mittels ihrer langsamen ungeordneten Bewegung aus dem süßen Tee unten in den weniger süßen Tee oben, und die Wassermoleküle mit ihrer schnellen ungeordneten Bewegung zwängen sich dazwischen und besetzen schnell die Plätze, die von den Zuckermolekülen verlassen wurden.
Das hatte M. Landmesser nicht verstanden, als er im Zusammenhang mit der Verkieselung sagte, das Lösungsmittel diffundiere nicht [1]. Es kann sogar umgekehrt sein: Wenn die Kiesel-Cluster so dick geworden sind, dass sie sich kaum noch bewegen können, schlüpfen die Wassermoleküle dazwischen umher so schnell wie immer. Auch noch im späteren Stadium, im Kieselgel, kann Wasser durch die Maschen diffundieren. Ohne Diffusion des Wassers wäre manche Einzelheit der Fossilisation unverständlich. Trotzdem hält R. Rößler die Ausführungen Landmessers zur Verkieselung für "besonders tiefgründig" [2].
Horneophyton tuber with evidence for silica diffusion through tissue
Weniger offensichtlich ist der Mechanismus hinter einer seltsamen Eigenheit der Diffusion: Der Diffusionsstrom einer Substanz durch ein Loch in einer Folie ist nicht proportional zur Fläche des Loches, sondern zu seinem Durchmesser. Folglich sind bei gleicher Gesamtfläche viele kleine Löcher durchlässiger als wenige große, was wesentlich ist für den Stofftranport durch biologische Membranen,
Um das verstehen zu können, braucht man eine zusätzliche Idee: eine Abschätzung des Konzentrationsgradienten der diffundierenden Substanz am Loch. Da der aus dem Loch kommende Diffusionsstrom auseinander läuft, nimmt die Konzentration schnell mit der Entfernung ab. Es ist eine naheliegende Annahme, die Konzentration sei schon in  Entfernungen stark erniedrigt, die mit dem Lochdurchmesser d vergleichbar sind. Das gibt einen Schätzwert für den Gradienten: Konzentration am Loch geteilt durch d. An kleinen Löchern bilden sich also große Konzentrationsgradienten und damit große Stromdichten des Diffusionsstromes. Der Strom oder Transport durch das Loch ergibt sich aus Stromdichte am Loch mal Fläche des Loches, und weil die Stromdichte proportional zu 1/ ist und die Fläche proportional zu d2, so ist der Strom proportional zu d und nicht zu
d2 wie bei strömender Flüssigkeit.
Offenbar ist diese Erklärung unter Biologen nicht allgemein bekannt. Eine Biologie-Enzyklopädie geht von der Annahme aus, Diffusion laufe vorwiegend am Rande des Loches ab, und der Diffusionsstrom sei deshalb proportional zum Umfang, also zu d.
Auch das experimentell gesicherte Phänomen selbst ist nicht allgemein bekannt unter Wissenschaftlern, die sich mit Diffusion in Pflanzen beschäftigen. Für theoretische Ergebnisse zur Diffusion durch perforierte Membranen, angeboten als komplizierte Formeln, empfiehlt sich ein einfacher Test: Wenn sie nur die Gesamtfläche der Löcher enthalten und nicht deren Größe, können sie nicht richtig sein.

Abb.2:  Knolle der unter-devonischen Pflanze Horneophyton  mit "Wasserwaagen", anscheinend erzeugt von SiO2-Suspensionen, die durch das geschädigte Gewebe diffundieren, wahrscheinlich durch Löcher in den Zellwänden.

Drei Bilder zu Diffusionswirkungen in Hornstein werden in Permian Chert News 13 erklärt.

H.-J. Weiss     2013      2015

[1]  M. Landmesser: Zur Entstehung von Kieselhölzern, extraLapis No.7 (1994), 49-80.
[2]  R. Rößler: Der versteinerte Wald von Chemnitz. Museum f. Naturkunde Chemnitz 2001, p.198.

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