In
einem alten Hornstein-Bruchstück von Rhynie liegt eine Alge aus dem
Unter-Devon mit einzigartigen Strukturmerkmalen. Das Fundstück ist so
schmal, dass es kaum größere Teile der Pflanze enthalten könnte. Man
sieht ca. 20 strukturierte Schnitte, anscheinend von oberen Teilen der
Pflanze, an der rohen Außenseite und auf Schnittflächen.
Ein gut orientierter Querschnitt ist in Abb.1 zu sehen. Die räumliche
Struktur dieses komplexen Organs, ähnlich einer Blüte mit Staubgefäßen,
kann aus diesem Querschnitt und aus unvollständigen Längsschnitten
erschlossen werden (Abb.2,3). Viele auf den Flächen außerdem sichtbaren
Schnitte einzelner Zweige eignen sich nicht für eine Rekonstruktion des
Ganzen.
Abb.1 (rechts): Querschnitt des komplexen oberen Teils einer
unbekannten Alge:
ellipsoidische Kapseln in einem Korb aus 11 bernsteinfarbenen
parallelen Zweigen.
Abb.2,3
(links und unten): Unvollständige, nahezu längsgerichtete Schnitte von
Körben aus bläulichen Zweigen, bestehend aus wenigen Zellen
hintereinander, als Schutz für die Kapseln (Rotationsellipsoide
mit Kreisdurchmesser bis 130µm). Breite der Bilder 1 bis 6:
1mm.
Der Korb aus Zweigen, die aus
wenigen Zellen bestehen und auf einer
Basiszelle sitzen, erinnert an ähnliche Gebilde bei der
Armleuchter-Alge
Palaeonitella,
auch wenn im vorliegenden Falle keine Drehung erkennbar ist.
Etwas sehr Rätselhaftes sind hier die Kapseln. Deren Anordnung wie
Staubblätter in einer Blüte verleitet zu einer Deutung
als Antheridien, aber eine Deutung als
Oogonien kommt auch in Betracht. Jedenfalls ist
das Fossil sehr außergewöhnlich wegen der langen
schlanken Kapselstiele (ca. 20µm x 150µm),
sichtbar in Abb. 2,4,5. Tolypella
ist die einzige lebende Armleuchter-Alge mit (kurz)
gestielten Antheridien. Antheridien an schlanken Stielen
sind von lebenden Arten der Moose Porella,
Timmia,
Sphagnum, Orthotrichum, Funaria
bekannt [1].
Oogonien an langen Stielen sind von einigen Braunalgen bekannt, z.B. Sargassum horneri,
aber anscheinend nicht von Grünalgen.
Die Basiszelle des Korbes dient als Basis sowohl für die
aufwärts
gebogenen Seitenzweige als auch für den Strunk, von dem die Stiele mit
den Kapseln abzweigen. In
Abb.4 ist dieser Strunk von oben zu sehen, mit Stielen zu einigen der
12 (?) Kapseln. (Es ist nicht bekannt, warum diese kleiner sind als in
den
anderen Bildern.) Im teilweise zerfallenen
Exemplar mit nur noch 2 Kapseln in Abb.5 ist der Strunk deutlicher zu
sehen, mit ca.10 Stielen. Vom einhüllenden Korb ist in Abb.4,5 nur
wenig erhalten geblieben.
Abb.4 (rechts): Querschnitt wie Abb.1, lang gestielte Kapseln an einem
zentralen Strunk.
Abb.5 (rechts außen): Strunk mit Stielen von oben gesehen, Kapseln
meist abgefallen.
Abb.6 (unten): Seitenansicht eines Korbes aus parallelen
Zweigen.
Die konvexe Außenseite des Korbes, hier
zufällig an der Oberfläche des Fundstücks in Abb.6,
zeigt sich als 6 finger-artige Zweige. (Einer ist im Schatten rechts
undeutlich sichtbar.
Die Zweige sind durchsichtig, so
dass noch 2 dahinter liegende Zweige teilweise erkennbar sind.) Es ist
unerwartet, dass dieser gut erhaltene große Korb keine Kapseln enthält.
Kapseln im Korb wären von außen durch die Zweige hindurch zu sehen.
Zwei kleine Körbe mit 6 und 7 Zweigen, hier nicht als Bild, sind auch
leer.
Das Innere der Kapseln ist nicht leicht zu deuten. Manche sind leer und
durchsichtig, andere mit schwarzer Substanz ganz ausgefüllt.
Interessanter sind jene mit einem kleineren Ellipsoid im Innern, gut
sichtbar in Abb.2-4. Es könnte ein Hohlraum in einem dickwandigen
Ellipsoid sein, oder die schrumpfende organische Substanz könnte
sich von der Wand des dünnwandigen Ellipsoids
abgelöst haben. Körnige Strukturen und schwarze Färbung könnten durch
sekundäre Vorgänge entstanden sein.
Aus den Beobachtungen ist zu schließen, dass die unbekannte Alge ...
- fassförmige Körbe bildet, ca. 1mm hoch und weniger als 1mm
breit,
-- mit fingerförmigen Zweigen aus 4 bis 5 (?) Zellen,
100...170µm
breit,
-- mit Lücken zwischen den Zweigen,
-- ohne weitere Symmetrie außer der Fassform, (*)
-- mit einer basalen Zelle, an der die Zweige und der Strunk
sitzen,
--- der oft an langen Stielen Kapseln trägt,
geformt als 130µm breite Rotationsellipsoide.
Die aus einer Reihe großer Zellen bestehenden Zweige erinnern an
heutige und fossile Charophyten, wie Palaeonitella,
und an eine zuvor hier vorgestellte unbekannte Alge aus
dem Rhynie Chert mit einem anderen rätselhaften
Strukturmerkmal, das möglicherweise der Fortpflanzung
dient. (Siehe
Rhynie
Chert News 48.)
Es ist sehr merkwürdig, dass es bei den heutigen
und fossilen Charophyten, wie wir sie kennen,
keine Organe gibt, die mit den gestielten
Kapseln des hier vorgestellten Fossils vergleichbar sind.
Der hier beschriebene Fund bestätigt die Vermutung, dass Zweige aus
großen Algenzellen wie die von Palaeonitella
nicht
notwendig auf nahe Verwandtschaft der betreffenden fossilen Formen
hindeuten.
Alle Bilder (1mm breit) wurden an dem Fundstück Rh10/42
(0.16
kg) aufgenommen, 2013 von S.
Weiss gefunden.
H.-J.
Weiss
2015
geändert und korrigiert Okt. 2015
(*)
Anmerkung 2019: Symmetrie wie in Abb.1 ist anscheinend bei diesen Algen
keine allgemeine Regel. Die Unsymmetrie in Abb.2,3 ist nicht allein
durch den schrägen Schnitt bewirkt, sondern auch durch die Unsymmetrie
des Korbes, der die Kapseln umgibt. (Siehe auch Rhynie Chert
News
138.)