Wenn man etwas Neues an einem Fossil entdecken will, muss man es nicht
immer selbst zur Hand haben. Manchmal genügt ein veröffentlichtes
Bild, um Merkmale zu suchen, die von den Autoren übersehen wurden.
(Siehe Rhynie
Chert News
8, 28, 29.) Abb.1 kann als ein weiteres Beispiel dafür gelten.
Abb.1: Seltsames Objekt, in [4] beschrieben als "eine spiralig
gewickelte glattwandige Röhre von Nematoplexus".
Bildbreite 235µm.
Durchmesser des Gewindes 40µm. Copyright:
Universität
Münster.
Hier sind einige einleitende Erklärungen erforderlich. Nematoplexus
[1]
ist eine von wenigen fossilen Arten aus Silur bis Unter-Devon, die als
Nematophyten bekannt sind und kürzlich unter "Rätselhafte Organismen"
eingeordnet wurden [2]. Nematoplexus
besteht
aus einem Gewirr gewundener Röhren,
wahrscheinlich in Gel eingelagert. Es ist ein seltenes Fossil,
anscheinend nur aus 4 Fundstücken des Rhynie Chert bekannt,
und es gibt nur wenige Bilder. Das von Lyon
[1] gefundene Typusexemplar war mit moderner Technik erneut
fotografiert worden [3]. Zwei der Bilder sind auf der Website der
Universität
Aberdeen zu sehen [4]. Ein anderes Exemplar von Nematoplexus
ist in [5] abgebildet, dort nur als Nematophyt bezeichnet. Es war bei
Rhynie aus
einer besonderen Sedimentschicht gegraben worden, deren
Hornstein-Klumpen in [5]
"Windyfield chert" genannt wurden.
Die Röhren des eigenen Exemplars
in Abb. 2 wurden an der rohen Oberfläche des Fundstücks fotografiert.
Sie gleichen denen in
[1] und [5], abgesehen von der Größe. (Man beachte, dass dieses Bild
doppelt so groß dargestellt werden müsste, um mit Abb.1 vergleichbar zu
sein. See Rhynie
Chert News
29.)
Abb.2: Drei Nematoplexus
-Spiralen mit Rechtsgewinde, an der Oberfläche des Fundstücks
abgeschnitten; eigener Fund mit größerer Variante von Nematoplexus
(neue Art ?), Durchmesser des Gewindes 190µm.
Die Spirale rechts unten kommt nahe der Mitte
des Bildes aus der Oberfläche heraus,
so dass ein Teil davon abgeschnitten und
nicht sichtbar ist. Das kann verwirren, wenn man versucht, die
räumliche Struktur zu erkennen. Bildbreite 350µm. Foto: C.
Kamenz,
2009.
Es ist zu erwähnen, dass anscheinend alle bisher abgebildeten Nematoplexus
-Röhren Rechtsgewinde haben und dass folglich jede Abweichung von
dieser Regel auf etwas Interessantes hindeuten kann. Auch mit den sehr
wenigen Bildern, die für Vergleiche zur Verfügung stehen, kann man
sagen, das gewundene Gebilde in Abb.1 sei auf mehr als eine Weise
ungewöhnlich: Zuerst fällt auf, dass es mehr wie ein Band aussieht und
nicht
wie eine Röhre. Eine Röhre kann zu einem Band zusammenklappen, aber
dieses Beispiel wäre dann das einzige für einen solchen Vorgang. Als
zweites ist zu bemerken, dass in
Abb.1 das Gewinde 40µm breit ist und
nicht wie sonst 80...120µm oder bis zu
190µm in Fig. 2. Drittens scheint das Gewinde unvermittelt den Drehsinn
zu wechseln, als sei eine Schraube mit ihrem Spiegelbild verbunden
worden. Diese Besonderheit in Abb.1 war nicht bemerkt worden, weil
keiner der Autoren [1-5] auf den Gewindetyp von Nematoplexus
geachtet hatte.
Die seltene Abweichung von der Rechtshändigkeit lässt die Frage nach
der Ursache aufkommen. Man stelle sich einfach einen aufgeschnittenen
Ring vor: Durch Verschieben der Enden aus der Ebene heraus erhält man
Rechts- oder Linksgewinde, besser gesagt eine Windung davon. Auf diese
Weise könnte ein kurzes Stück der Spirale durch zufällige
Deformation ihren Schraubensinn ändern, was ein seltenes Vorhandensein
kurzer linksgewundener Fragmente oder Enden erklären könnte. Eine
solche Erklärung passt jedoch nicht zu dem besonderen Fall in Abb.1. Es
bleibt der Verdacht, der scheinbar offensichtliche Wechsel des
Schraubensinns
sei doch nur eine Illusion infolge geringer Tiefenschärfe. Eine erneute
Inspektion könnte das klären.
Eine andere Deutungsmöglichkeit besteht darin, dass das
gewundene Objekt in Abb.1 keine kollabierte Röhre ist, sondern ein
Band, vielleicht die spiralige Wandverstärkung einer Röhre von ca. 50µm
Durchmesser. Diese Größe wäre, soweit bis jetzt bekannt, nicht
verträglich mit Nematoplexus,
aber nicht ungewöhnlich unter Nematophyten.
(Siehe
Rhynie
Chert News
30.)
Diese Abhandlung soll auf ein Problem mit Nematoplexus hinweisen,
das zuvor nicht bemerkt wurde und anscheinend keine einfache Lösung
hat. Wie bei jedem schwierigen Problem kann man auch hier etwas
Interessantes erwarten, weshalb es Beachtung verdient.
Mit einigem präparativen Aufwand könnten die vorhandenen
Fundstücke mehr Bilder gewundener Fäden liefern, was bei der Deutung
von Abb.1 helfen könnte. Außerdem kann man hoffen, mehr Exemplare des
seltenen Nematoplexus
zu finden, auch mittels gründlicher Durchsicht des in Sammlungen
gelagerten Rhynie Chert.
H.-J. Weiss
2010
[1] A.G. Lyon:
On the fragmentary remains of an organism referable to the
nematophytales from the Rhynie chert,
Nematoplexus rhyniensis,
Trans.
Roy. Soc. Edinburgh 65(1961-62), 79-87, 2 tables.
[2]
T.N. Taylor,
E.L.Taylor, M. Krings: Paleobotany, Elsevier 2009.
[3] Palaeobotanical Research Group, University Münster.
[4] www.abdn.ac.uk/rhynie/nemato.htm
[5] S.R.
Fayers, N.H. Trewin: A review of
the palaeoinvironments and biota of the Windyfield chert,
Trans. Roy. Soc. Edinburgh, Earth
Sci., 94(2004 for 2003), 325-339.