Die noch verbreitete (aber nachlassende) Ehrfurcht vor akademischen
Titeln verleitet manche Wissenschaftler dazu, mit
scheinwissenschaftlicher Rhetorik Aufmerksamkeit zu erregen. Zum 5.
Hornstein-Treffen (2006) im Naturkunde-Museum Chemnitz hatte ich
vor zwei promovierten Physikern gewarnt, die sich Anfang der 90er Jahre
unauffällig der Esoterik zugewandt hatten. Dabei nutzten sie
Formulierungen, die von Normalbürgern nicht zu durchschauen
sind und
sogar manche Wissenschaftler täuschen können, mit teilweise fatalen Folgen (Sächs.
Zeitung 11.2.2012).
Keine
Angst vor
"Erdstrahlen" !
Das Phänomen des Wunderheilers, dessen Erfolg darauf beruht, dass man
an seine Fähigkeiten glauben will, gibt es in allen Kulturen. Mancher
Mensch glaubt gern, befolgt den Rat, die Betten aus dem Bereich der
Erdstrahlen zu rücken, auch wenn es die Erdstrahlen gar nicht gibt, und
fühlt sich danach wohler. Ein akademischer Titel
und das Hantieren mit
Messgeräten schaffen Vertrauen. Auf dieser Grundlage gedeiht
mancherlei Esoterik in wissenschaftlichem Gewand.
Erwähnenswert sind drei Beiträge von Dr. habil. Hans-Dieter Langer
zu strahlengeschädigten Bäumen in
den Veröffentlichungen des
Museums für Naturkunde Chemnitz. Die Schäden sind angeblich von
Neutronen verursacht, die als gebündelte Strahlen aus der Erde kommen. Es
ist nicht schwer, mittels elementarer
physikalischer Argumente die angeblich gemessenen schädlichen
Strahlenbündel als unbegründete Gedankenkonstruktionen zu enttarnen. Bombastisch
klingende Formulierungen,
wie "physikalisch-radiästhetische Strukturen
mit 24Std.-Schwankungsbreiten" und "polygonal tangierende eng
gestaffelte Mehrfachanordnung von Neutronenmoden" (Veröff. Mus. Naturk.
Chemnitz, Band 21) können auch physikalischen Laien verdächtig
erscheinen.
Nach Langer
werden die
Neutronen aus der Tiefe durch mehrfache streifende Reflexion zwischen
zwei parallelen Bruchflächen im Fels nach oben geleitet, wie Licht
zwischen zwei Spiegeln. Eine Fläche kann
nur dann spiegelnd reflektieren, wenn sie so glatt ist, dass die
Unebenheiten kleiner sind als das auftreffende Objekt oder als die
Wellenlänge der auftreffenden Welle. Da das Neutron 105mal
kleiner ist
als die Atome, kann es nicht wie ein Ball an einer Felswand
reflektiert werden. Es bleibt die Frage zu beantworten, ob es als
Welle reflektiert werden kann. Die jedem Teilchen (auf unerklärliche
Weise) zukommende Wellenlänge erhält man einfach als Plancksche
Konstante geteilt durch den Impuls des Teilchens. Die durch den Felsen
kommenden Neutronen könnten im Mittel nicht langsamer sein als die der
Temperatur des Felsens entsprechende thermische Geschwindigkeit, womit
eine untere Grenze für den Mittelwert des Impulses gegeben ist. Die
daraus folgende obere Grenze für die mittlere Wellenlänge ist 10-8cm,
also so klein, dass die Neutronenwelle an der Bruchfläche im Fels nicht
reflektiert und gebündelt, sondern in alle Richtungen gestreut würde.
Es kommt also
nicht zur Bildung von Neutronenstrahlen längs Störungszonen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Beiträge Langers im
Widerspruch zu einfachen physikalischen Tatsachen stehen.
Hans-Jürgen
Weiss
2009
Anmerkung 2011:
Dr. R.
Rößler verkauft noch alte Jahrgänge mit Esoterik
und begründet das mit der Pflege der Meinungsvielfalt im Museum und mit
Meinungsfreiheit als verfassungsmäßig garantiertem Gut.
Entgegen seiner erklärten Absicht, eine Diskussion über Esoterik
anzuregen, weigert er sich beharrlich, diesen Kommentar in den
"Veröffentlichungen des Museums für Naturkunde Chemnitz" abzudrucken,
weil es eine individuelle Meinung sei, für die kein Recht auf
Veröffentlichung besteht.
Meinungsvielfalt im Naturkunde-Museum unter Einbeziehung von Esoterik
ist keine
gute Idee, denn sie fördert Beliebigkeit und ist das Gegenteil von
Wissenschaftlichkeit.
Anmerkung 2012:
Im Sächsischen Landtag vertritt man zur Förderung
wissenschaftlich getarnter Esoterik durch Museum und Behörden folgende
Meinung:
"Diese Auseinandersetzung kann nur im Bereich der
Wissenschaft geführt werden und unterliegt damit Art. 5 Abs. 3 Satz 1
des Grundgesetzes bzw. Art. 21 Satz 1 der Sächsischen Verfassung".
Damit gilt die
verfassungsmäßig garantierte Freiheit
der Wissenschaft
angeblich auch für die Esoterik.
So hat sich der unerträgliche Zustand eingestellt, dass manche
Wissenschaftler, die Wissen
mehren und verbreiten sollen und
dafür von der Allgemeinheit bezahlt werden, sich
gegenüber scheinwissenschaftlichem Wunschdenken auffallend gleichgültig
verhalten. Damit
wird es Esoterikern leicht gemacht, Ängste der
Bevölkerung vor der unbedenklichen natürlichen radioaktiven Strahlung
zu fördern.