Eine fossile Alge aus dem unter-devonischen
Hornstein von Rhynie hatte 1921 wegen der Ähnlichkeit zur rezenten
Armleuchter-Alge Nitella
den Namen Palaeonitella
bekommen [1]. Man hatte erwartet, dass diese
wie alle Armleuchter-Algen (Characeen) Fruchtkörper mit spiralig
gedrehter Hülle (Gyrogoniten) bildet, musste aber feststellen, dass
"bis jetzt keine Exemplare der typischen Fortpflanzungsorgane der
Characeen in der Ablagerung von Rhynie gefunden wurden" [1]. Jahrzehnte
später wurden angeblich die zuvor vergeblich gesuchten Gyrogoniten in
wenigen schlecht erhaltenen Exemplaren unklarer Zugehörigkeit gefunden
[2]. Diese wurden vorsichtig für eine neue Diagnose von Palaeonitella cranii
genutzt,
einschließlich einer fantasievollen Rekonsruktion [2].
Die
zweifelhaften Gyrogoniten und die eigenen Funde im Rhynie Chert legen
eine überraschende Deutung nahe, die bisherigen Vorstellungen
widerspricht: Die meisten oder alle Armleuchter-Algen im Hornstein von
Rhynie hatten niemals Gyrogoniten gebildet, dafür aber deren Vorstufe
in
der Evolution: Oogonien ohne spiralige Hülle, am oberen Ende der Alge
kreisförmig angeordnet wie die Staubgefäße in einer Blüte (Abb.1, weitere
Bilder dazu bei [3]). Eine
Armleuchter-Alge mit einfachen Oogonien ist folglich ein höchst
bemerkenswertes Relikt aus Zeiten, als es noch keine Gyrogoniten gab.
Es
bleibt die Frage, warum die einfachen Oogonien hundert Jahre lang von
den Paläobotanikern übersehen wurden, obwohl diese an manchem eigenen
Fundstück deutlich sichtbar sind. (Ein diesbezüglicher kurzer Beitrag
wurde von der Paläontologischen Zeitschrift abgelehnt.) Als mögliche
Erklärung ist festzustellen, dass sie nur selten einen auffälligen
Anblick bieten wie in Abb.1. Meist sind sie weniger deutlich zu sehen
und leicht mit Chlamydosporen nicht identifizierter Pilze zu
verwechseln, wie in Abb.2.
Auffällig
in Abb.2 sind zwei Oogonien mit unbekannten Füllungen (schwarz und
weiß). Die durchsichtigen Kugeln im Vordergrund veranschaulichen das
Problem, Oogonien und Pilz-Chlamydosporen
zu unterscheiden.
Abb.1
(oben): Querschnitt des oberen Endes einer Armleuchter-Alge im Rhynie
Chert, innerer Kreis mit ellipsoid- oder bohnen-förmigen Oogonien,
meist dunkel gefüllt, auf schlanken Stielen (hier nicht sichtbar),
umgeben von Querschnitten der aufrechten Zweige des obersten Quirls.
Bildbreite 1mm.
Abb.2: Seitliche Sicht auf das obere
Ende einer Armleuchter-Alge im Rhynie Chert, mit wenigen Oogonien und
Zweigen des obersten Quirls, zur Schnittebene unterschiedlich
positioniert. Bildbreite 1mm.
Die erfolglose Suche nach Gyrogoniten war nicht vergeblich, denn sie
legte die Annahme nahe, Palaeonitella
[1] sei die gleiche Art wie die neu entdeckte Alge mit einfachen
Oogonien und habe deshalb keine Gyrogniten. Das impliziert die
Erkenntnis,
Palaeonitella cranii sei
nicht eine von
vielen bekannten Armleuchter-Algen,
sondern eine urtümliche Art, die den Evolutionsschritt von Oogonien
zu Gyrogoniten nicht gegangen war. Ihr gebührt deshab ein Platz auf
einem Zweig des Stammbaums,
der tief im Silur sich von den übrigen getrennt hatte. Anscheinend
verchwand dieser besondere Zweig bald, denn Armleuchter-Algen
mit einfachen Oogonien
ohne Hülle wurden in geologischen Formationen jünger als Devon nicht
gefunden.
Neben diesem unerwarteten Ergebnis ist ein weniger wichtiges zu
erwähnen: Der Gattungsname Palaeonitella,
der seit
1921 nach neuem Kenntnisstand für eine urtümliche Art ohne
Gyrogoniten steht, sollte nicht auf höher entwickelte fossile Arten
übertragen
werden, wie 2021 geschehen [4], nur weil sie Nitella ähnlich
sind.
Fundstücke: Abb.1: Rh10/42.2
(2013), Abb2: Rh9/86.2 (2003)
H.-J.
Weiss
Dez. 2021
[1]
R. Kidston, W.H. Lang: On Old Red Sandstone plants showing
structure ... Part V...
Trans. Roy. Soc.
Edinburgh 52
(1921), 855-902.
[2]
R.Kelman, M. Feist, N.H. Trewin, H. Hass: Charophyte algae
from the Rhynie chert.
Trans. Roy. Soc.
Edinburgh 94
Part 4 (2004 for 2003), 445-455.
[3]
H.-J. Weiss: Google: Chertnews: Rhynie Chert News
73, 89, 90, 138, 139.
[4]
C. Martin-Closas et.
al.: Palaeonitella
trifurcata, a
cortoid-building charophyte ...
Rev. Pal.
Pal. 295 (Dez.2021), 104523