Fenster in die ferne Vergangenheit - Palaeonitella
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Palaeonitella in Rhynie chert
Dieses Bild mag dem fantasiebegabten Betrachter als märchenhafte Kulisse mit Höhlen erscheinen, mit einem Fenster in die Vergangenheit rechts der Mitte in Abb.1, vergößert in Abb.2.
Palaeonitella, glossy
Abb.1 (links außen): Rhynie Chert mit Höhlen und der Armleuter-Alge Palaeonitella in Chalzedon.
Bildbreite 7mm.

Abb.2: Teile von Palaeonitella, bestehend aus und eingeschlossen in glasklarem Chalzedon, was die Illusion erzeugt, hinter einer Fensterscheibe glänzende Glasrohre zu sehen. Ausschnitt aus Abb.1, Breite des auffälligen Rohrs 120µm.


Hinter einer scheinbaren Glasfront sieht man durchsichtige Rohre,
durchsichtig und erstaunlich präzise geformt. Während 400 Millionen Jahren haben diese ihre Durchsichtigkeit und Oberflächengüte behalten, und der Raum dazwischen ist sauber geblieben, was durch Verkieselung des wässerigen Lebensraumes dieser Alge möglich war. Das musste so schnell erfolgt sein, dass nicht viel Zeit für Zerfallsprozesse vorhanden war. (Wahrscheinlich wirkte die Zellwand als Diffusionsbarriere für Kieselsäure, so dass der Inhalt der Zellen vor dem Verkieseln restlos zerfallen konnte, aber die Wand erhalten blieb.) 
Eine unerwartete Einzelheit in den obigen Bildern beweist, dass die zylindrischen Oberflächen der Pflanzenteile noch glatter und sauberer sind als man unmittelbar in Abb.2 sieht. Die durch den Chalzedon hindurch deutlich sichtbare Reflexion an der Oberfläche des Zylinders und die schwächere Reflexion an der Innenseite des Hohlzylinders, sichtbar durch den Chalzedon und die Zellwand hindurch, führen auf die Erkenntnis, dass die Rauhigkeit viel kleiner sein muss als die Lichtwellenlänge, also deutlich unter 0.1µm, als ein Schätzwert.
Es sei hier erwähnt, dass die Charakterisierung eines Fossils mit solcher Genauigkeit gewöhnlich nicht mit einem Lichtmikroskop zu erreichen ist. Ebenso ungewöhnlich ist die lebensechte Konservierung. Lebende Nitella in Wasser gäbe kein besseres Bild als Palaeonitella in diesem klaren Chalzedon. Weniger glatt, aber nicht weniger bemerkenswert ist der deutlich sichtbare zylindrische Pflanzenteil in Abb.3.
Palaeonitella free-standing

Um die Besonderheit dieser fossilen Art einschätzen zu können, sollte man folgende Tatsachen zur Kenntnis nehmen:  Palaeonitella ist der lebenden Armleuchter-Alge Nitella sehr ähnlich, aber viel kleiner. Es ist sehr ungewöhnlich, zwei ähnliche Pflanzen zu finden mit mehreren hundert Millionen Jahren dazwischen, wobei außerdem die lebende Pflanze viel größer ist als das Fossil. Beide haben gemeinsam, dass jedes Segment von Stamm und Zweigen aus einer einzigen großen Zelle besteht, bis zu 4mm lang in diesem Fundstück. (Das ist ungewöhnlich für eine fossile Pflanze und noch mehr für eine lebende Pflanze. Die röhrenförmigen Zellen von Nitella können länger als10cm sein.)
Anders als in Abb.2 sieht man in Abb.3 ein größeres
frei stehendes Stück einer einzelnen Pflanzenzelle, die während 400 Millionen Jahren ihre Lage und Form behalten hat, ohne dass sie mittels eines umgebenden Mediums stabilisiert wurde. Die zylindrische Oberfläche reflektiert hier nicht, muss also rauh geworden sein, mit Unebenheiten größer als die Lichtwellenlänge, wahrscheinlich durch eine dünne Quarzschicht, abgelagert im wassergefüllten Hohlraum. In Abb.3, links, gibt es eine in Chalzedon eingeschlossene röhrenförmige Zelle. Diese sieht dünner aus, denn man sieht nur den inneren Hohlraum, gefüllt mit undurchsichtiger Substanz.

Abb.3 (rechts): Erstaunliches Fossil
in einem Hohlraum: einzelne verkieselte Zelle von Palaeonitella, 125µm dick, als frei stehende Säule über 400 Mill. J. erhalten. Links im Bild: röhrenförmige Zelle in durchsichtigem Chalzedon. Bildhöhe 2.6mm.

Der innere Hohlraum der röhrenförmigen Zellen kann mit klarem Chalzedon gefüllt sein wie in Abb.2 oder mit undurchsichtiger Substanz, aber oft ist er leer geblieben, abgesehen von einem Wandbelag aus Quarzkristallen. (Siehe Rhynie Chert News 10 .) Die leer gebliebenen Zellen sind auf der Schnittfläche leicht erkennbar.
Wenn sie nicht angeschnitten sind, kann man sie am Glitzern der Kristalle erkennen, das durch den umgebenden Chalzedon hindurch scheint, wie bei den oberen Zweigen in Abb.4.
Palaeonitella whorls
Abb.4 (links): Undurchsichtige Füllung einer hohlen Palaeonitella mit durchsichtigen Zellwänden in Chalzedon, hier mit drei Quirlen. (Zum Betrachter gerichtete Zweige der zwei unteren Quirle sind abgeschnitten.)
 Bildhöhe 2.6mm.

Aus den Bildern folgt, dass die bei der Entstehung dieses Hornsteins beteiligten Prozesse unterschiedliche Auswirkung hatten. Es ist nicht bekannt, wie und warum die Verkieselung an Stellen, die nur wenige Millimeter voneinander entfernt sind, so sehr verschiedene Ergebnisse produzieren konnte. Es gäbe eine einfache Erklärung für die frei stehende Säule in Abb.3, wenn da nicht die eingeschlossene Säule wäre, nur 1mm daneben.
 

Offenbar hat Kieselgel sich an manchen Stellen gebildet und zu glasklarem Chalzedon verfestigt, aber an anderen Stellen wieder aufgelöst oder niemals gebildet. Manchmal wirkte die Zellwand als Diffusionsbarriere für Kieselsäure, während diese bei Übersättigung außerhalb der Zellen Gel und schließlich Chalzedon bildete. Der Wandbelag aus Quarzkristallen in den Zellen entstand dann langsam später. Manchmal gelangte die Kieselsäure in die Zellen, wo die Zersetzung des Zellplasma niedrigen pH bewirkte, was die Bildung von Gel förderte, während die Umgebung flüssig blieb und später leer wurde, was sie jetzt noch ist.
Andere 
Fragen zu diesem Fossil, wie zum Zweck der korb-ähnlichen Strukturen aus einem Quirl seltsam verwundener Zellen wie in Rhynie Chert News 10 , werden hier bewusst offen gelassen. Die in [1] erwähnten typischen Gyrogonite wurden hier nicht gesehen.
Anmerkung 2019: Nach [1] ist die Deutung der dort gesehenen abgelösten und zerbrochenen Objekte als Gyrogonite nicht sicher. Inzwischen sind keine "richtigen" Gyrogonite gefunden worden. Die Entdeckung mehrerer Exemplare einer seltsamen Alge seit 2015, mit glatten gestielten Oogonien statt Gyrogoniten, hat den Verdacht aufkommen lassen, Gyrogonite von Palaeonitella seien nicht nur schwer auffindbar, sondern gar nicht vorhanden: Rhynie Chert News 138 .

Fundstück: Rh5/3, 0.6kg, Rhynie Chert mit ungewöhnlich blassem Aussehen, 2001 gefunden von Sieglinde Weiss nahe Milton of Noth.

H.-J. Weiss  2015  2019       

[1]  R. Kelman, M. Feist, N.H. Trewin, H. Hass : Charophyte algae from the Rhynie chert,
    Trans. Roy. Soc. Edinburgh, Earth Sciences 94(2004 for 2003), 445-455.
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